Von Erfinderinnen mit Durchblick

Autofahren im Winter ist anstrengend, ich denke das geht uns allen so. Glatteis und Schnee machen uns das Leben auf den Straßen schon schlimm genug – aber das ginge ja noch, wäre da nicht die lästige Notwendigkeit, alle paar Minuten anzuhalten, auszusteigen und die Scheiben mit einem schmierigen Lappen notdürftig zu wischen.
Zeitaufwändig ist das, und gefährlich noch dazu, vor allem auf der Autobahn.

Wie, Sie tun das nicht? Nun, wir auch nicht – aber zu Beginn der Automobilisierung war das die gängige Methode. Genau gesagt, bis sich die amerikanische Südstaaten-Immobilienentwicklerin Mary
Anderson ihren bedauernswerten Zeitgenossen nach einer winterlichen Autofahrt in New York annahm und den Scheibenwischer erfand. 1903 meldete sie das Patent für ihre kurbelbetriebenen Wischer an –
jedoch erfolglos. Die Ingenieursfirmen der Zeit sahen mit ihrem Weitblick keinen Markt dafür – eine grandiose Einschätzung.

10 Jahre und sehr viele Autos später hatte sich der Scheibenwischer völlig überraschend längst durchgesetzt. Selbstverständlich ohne dass Mary Anderson auch nur einen Dollar dafür gesehen hätte. Aber wo kämen wir auch hin, wenn Quereinsteiger ohne jedes technische Studium einfach mal so grandiose Dinge erfinden könnten. Völlig zurecht sah die kanadische Bühnenschauspielerin Charlotte Bridgewood für ihr Patent des Elektrischen Scheibenwischers, den Sie 1917 patentierte, eben-
falls nie einen Cent. Wie Wegbegleiter damals anmerkten: als selbständige Frau ohne berühmten Vater und ohne Einfluss nicht weiter erstaunlich. Ihr Patent verfiel 1920 und die großen Konzerne übernahmen die Technik gerne.

Doch auch ihrer Tochter ging es nicht besser mit ihren Erfindungen: Florence Lawrence, besser bekannt als der wohl erste Stummfilmstar der Filmgeschichte, erfand den Blinker und das Bremslicht. Wohl Aufgrund der Erfahrungen ihrer Mutter verzichtete sie auf die Patentanmeldung.
Doch warum eigentlich erzähle ich Ihnen heute die Geschichte des Scheibenwischers? Nun, wir haben uns für 2024 Erfindungen und deren Erfinder zum Motto gemacht. Wir denken, dass sich neben so manchem Erstaunen auch einiges für heute und jetzt ableiten lässt. Die Scheibenwischer-Saga sagt mir zum Beispiel ganz klar: Frauen in MINT-Berufen sind heute immer noch unterschätzt. Und der Quereinstieg noch viel mehr. Stellen Sie sich vor, unser Damen-Trio wäre damals nicht links liegen gelassen, sondern von Ford oder General Motors eingestellt worden. Wie viele Entwicklungen hätten sie wohl beigesteuert und vorangetrieben? Mit Verlaub: in den Kinderschuhen der Autoindustrie des frühen 20ten Jahrhunderts hatten die Herren Ingenieure auch nicht wirklich viel Erfahrung im Autobau.
Heute geht uns das doch sehr ähnlich: es entstehen in nahezu allen Bereichen neue Positionen mit Anforderungen, die von konventionellen Ausbildungen und Studien nur teilweise abgedeckt werden. Hier ist viel Kreativität in der Besetzung gefragt, Mut zu Kandidaten mit unkonventionellen Lebensläufen – und der Weitblick, der Mary Anderson leider versagt blieb. Ich jedenfalls wünsche mir zum Start in das neue Jahr genau dies: Kreativität und den Blick voran in ein Jahr, das uns mit Sicherheit vor spannende Herausforderungen stellen wird.

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